Forschung zum Spannungsfeld „Ich & Wir“
19. 12. 2018 Forschen, Lab 0 Kommentare
Rückblick auf den dritten micelab:explorer III im Herbst 2018
„Ich & Wir“ – das Forschungsthema ist mindestens so spannungsgeladen wie der Himmel überm Labor. 17 Forscherinnen und Forscher des micelab:bodensee gingen beim dritten explorer im Herbst 2018 der Frage nach, wie aus einer Gruppe eine Gemeinschaft wird.
Versuchsort ist Andelsbuch im Bregenzerwald (Österreich), mit Weitblick auf die Berge und viel Bewegungsfreiheit und Spielraum für alle „Ichs“. Denn, so die These: Jeder Einzelne einer Gruppe will gehört werden und kann einen Beitrag leisten. Die Gruppe unterstützt ihn oder sie idealerweise dabei. So profitieren beide Seiten: Individuum und Gemeinschaft.
Damit sich Menschen einer Gruppe zugehörig fühlen können, müssen sie einander kennenlernen. Ganz unkompliziert und genussvoll lässt sich dies zum Beispiel beim gemeinsamen Kochen bewerkstelligen. So verbrachten die „Labormäuse“ den ersten Abend sowohl in der Küche als auch bei Tisch.
Rundherum bekannte Gesichter – das schafft Vertrauen, hier kann man sich auch fallen lassen. Sportpsychologe und Coach Michael Nusser brachte einige Übungen mit, die uns erkennen ließen, wie aus Individuen ein echtes Team wird. Nusser ist überzeugt: „Entscheidend für den Erfolg von Einzelnen und Gruppen ist neben den individuellen Fähigkeiten der Menschen die Art, wie sie miteinander umgehen.“
Wie schaffen wir es als Gruppe, einen Apfel aus einem fiktiven, lebensbedrohlichen Säurebad zu nehmen, ohne dieses zu betreten oder hineinzugreifen? Einziges Hilfsmittel: ein Seil. Und eine weitere Auflage: Jene Person, die den Apfel aus dem Bade „rettet“, darf dies nur mit verbundenen Augen tun. Unsere Erfahrung: Viele Wege führen zum Ziel. Die hohe Kunst ist es jedoch, als Gruppe jedem Einzelnen genügend Raum zu geben – beziehungsweise sich als Individuum auch Raum zu nehmen – um verschiedene Lösungsansätze zu hören, einzubringen und auch ausprobieren zu können. Das Seil als Sinnbild für: Ziehen wir gemeinsam an einem Strang oder zerren wir in verschiedene Richtungen? Das Ziel, den Apfel zu holen, haben wir zwar erreicht. Aber – so viel sei verraten – obwohl wir einander gut kannten, agierten wir als Gruppe alles andere als vorbildlich. Manche waren zu laut, andere zu leise. Es herrschte ein Ungleichgewicht, das auch frustrierte. Positiver Effekt: Das gemeinsame Erlebnis machte uns bewusst, dass wir achtsamer miteinander umgehen müssen. Bei der nächsten Übung klappte das schon besser…
Dann galt es, mit verbundenen Augen und in zwei Etappen ein bestimmtes Ziel zu erreichen. Die erste Etappe zum Zwischenziel (ein definiertes Gebüsch) legten wir als Kleingruppen zurück, wobei Michael Nusser jeder Gruppe einen anderen Startpunkt zuteilte. Die zweite Etappe mussten die Kleingruppen gemeinsam bewältigen – ebenfalls ohne die Augenbinde abzunehmen. Diesmal gingen wir viel überlegter an die Sache heran, hörten einander zu, spielten Lösungen durch und probierten aus. Was für ein Mehrwert! Die Erkenntnis: Die Freude über das erreichte Ziel war bei allen weitaus größer als beim „Säurebad“. Der lebendige, aufmerksame Austausch untereinander schweißte die Gruppe regelrecht zusammen – jeder fühlte sich zugehörig und sicher. Auch wenn man blind und ungeschickt durchs Gebüsch stolperte…
Michael Nusser berichtete, wie er professionelle Fußballmannschaften in Sportcamps begleitet, damit sie richtige Teams bilden können. Sein Input für die MICE-Branche: „Erfolgsmomente passieren schon in der Vorbereitung einer Veranstaltung.“ So haben wir das auch erlebt: Jeder kleine Schritt, der uns dem großen Ziel näher gebracht hat, war Motivationsschub für die ganze Gruppe!
Tatjana Dernbecher ist neben Schauspielerin und Regisseurin auch Kinderschauspielcoach: Sie sorgt dafür, dass sich Kinder am Set wohlfühlen und zeigen, was sie können. Dabei spielt die Vorbereitung auf den Dreh schon eine große Rolle: Was bei uns das „Get-Together“ am Vorabend beim gemeinsamen Kochen war, so verbringt Tatjana Dernbecher ein paar Tage mit ihren Schützlingen, die sich dadurch kennen und einander vertrauen lernen. Am Set ist dann dafür gesorgt, dass gemeinsam gegessen oder Geburtstage gefeiert werden – wichtiger Kit für das Team. Ihre Erkenntnis, die wir gerne mitnehmen: „Die Energie des Ensembles ist wichtiger als die Leistung eines Einzelnen.“ Wir ergänzten für uns: Ist die Energie gut, gibt jeder Einzelne auch sein Bestes.
Professor Joachim Bauer ist Neurowissenschaftler, Psychotherapeut und viel beachteter Autor von Sachbüchern. Wir Partner des micelab:bodensee durften von seinem reichen Fachwissen profitieren. Es gibt einen neurobiologischen Ort für die Selbstwahrnehmung. Und denke ich an Menschen, die mir nahe sind und die ich als „mir ähnlich“ empfinde, wird dasselbe Gehirnareal aktiviert. Das Bewusstsein für „Ich & Wir“ spiegelt sich also auch in unserem Gehirn wider… spannend!
Einen Abend lang führte Aron Craemer Regie (Bildmitte mit Kuratorin Tina Gadow und Leadpartner Gerhard Stübe): Der Regisseur, Drehbuchautor und Dramaturg leitete uns Forscherinnen und Forscher an, spontan in verschiedene Rollen eines kurze Stückes im High-School-Genre zu schlüpfen, das er extra fürs micelab:bodensee geschrieben hatte. Abgesehen von dem großen Spaß, den alle hatten, machte er uns damit klar, was eine gute Dramaturgie leistet: Sie erzeugt Emotionen. „Emotionen sind das Schmiermittel für eine Gruppe“, sagt er. Am nächsten Vormittag reflektierten wir in einer Diskussionsrunde im Fish-Bowl-Format, was das für Veranstaltungen bedeutet. So könnte ein Ansatz sein, einen Kunden nicht nur nach dem inhaltlichen Ziel seiner Veranstaltung zu fragen, sondern auch nach dem emotionalen Ziel. In den drei Tagen haben auch wir erlebt: Gemeinsame Erlebnisse erzeugen Emotionen, die Einzelne zu einer Gruppe zusammenschweißen können. Eine gute Voraussetzung fürs gemeinsame Lernen und ko-kreative Arbeiten…
Welche Erkenntnisse nehme ich für mich und meinen Job nun mit? Zehn Minuten lang schrieb das jeder für sich auf – ohne den Stift abzusetzen! Eine tolle Übung, um Gedanken auf den Punkt zu bringen und weiterzuführen!
Zum Abschluss des micelab:explorer stellten wir in Zweiergrüppchen Thesen für „Ich & Wir“ bei Veranstaltungen auf, die nun weiterbearbeitet und getestet werden.
Fotos: Michael Gleich, Daniela Kaulfus
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